Patientenschulung
Eine strukturierte Patientenschulung ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für den optimalen Therapieerfolg bei vielen rheumatischen Erkrankungen. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie hat in ihrem Arbeitskreis Patientenschulung mittlerweile für die folgenden Krankheiten Patientenschulungsprogramme herausgegeben:
- chronische Polyarthritis
- M. Bechterew
- Systemischer Lupus erythematodes und Kollagenosen
- Schulungsprogramm für rheumakranke Kinder und ihre Eltern
- Fibromyalgie
- Vaskulitis.
Die Programme sind in ihrer Grundstruktur im wesentlichen gleich aufgebaut. Sie wird am Beispiel des Kurses für Patienten mit chronischer Polyarthritis im folgenden dargestellt.
Aufbau
Der Kurs besteht aus 6 Bausteinen (Module) von jeweils 90 Minuten Dauer. Er findet als Seminar statt und umfaßt 6 Sitzungen entsprechend den 6 Modulen. Die maximale Teilnehmerzahl der Schulungsgruppe sollte 10 Personen nicht überschreiten. Die Teilnehmer bilden eine geschlossene Gruppe und durchlaufen alle 6 Sitzungen gemeinsam. Die Kurseinheiten bestehen aus theoretischen und praktischen Teilen, die so verknüpft sind, daß eine interaktive Situation aus Fragen, Antworten, Meinungen, Erfahrungen, Korrekturen usw. entsteht. Schulungsteile, die der Vermittlung von Wissen dienen, werden durch Bildmaterial, Folien und Hilfsmittel unterstützt. Dafür steht ein Materialienordner, gegliedert nach den 6 Schulungseinheiten, zur Verfügung. Wesentlicher pädagogischer Bestandteil der Schulung ist die starke Einbeziehung der Teilnehmer in Form von Meinungs- und Erfahrungsaustausch. So wird jeder Schulungsabschnitt durch Erfahrungsaustausch der Teilnehmer eröffnet, um die persönliche Betroffenheit zum Ausgangspunkt der Wissensvermittlung zu machen und um die Teilnehmer sofort in dem Schulungsprozeß zu integrieren. Außerdem werden, wenn immer möglich, praktische Übungen, Rollenspiele etc in die Schulung aufgenommen, um eine anschauliche, lebendige und praxisnahe Situation zu schaffen. Jeder Kursteilnehmer erhält am Ende einer Schulungseinheit (Modul) eine schrifliche Teilnehmerinformation, die die wesentlichen Schulungsinhalte enthält.
Durchführung
Der Kurs wird von einem interdisziplinären Schulungsteam durchgeführt (Arzt, Psychologe/Pädagoge, Krankengymnast, Ergotherapeut). Sie arbeiten auf der Grundlage eines Materialordners, der die Lerninhalte enthält und gleichzeitig Lern ziele, Ma terialien und Methoden vorschlägt. Er beinhaltet den vollständigen Ablauf des Programms mit Vorschlägen zur zeitlichen und inhaltlichen Aufgliederung der einzelnen Programmteile, Darstellung der Lernziele und thematischen Inhalte sowie alle zur Verfügung stehenden Unterrichtsmaterialien. Ein separater Teil umfaßt die Trainer-Anleitung , die quasi eine Regie-Anweisung für den Ablauf der Schulung und eine "Gebrauchsanleitung" für die vorgesehene Verwendung der zur Verfügung stehenden Materialen enthält. Der Materialordner beinhaltet dazu ein Trainermanual, das den Ablauf des Kurses erklärt und vor allem auch praktische Hilfen und Tips für seine Umsetzung gibt. Das Trainermanual geht auch auf Probleme ein, die sich im Verlauf einiger Stunden ergeben können, gibt Hinweise, wie man diese Schwierigkeiten vermeiden kann und bietet Lösungsmöglichkeiten an, wenn sie sich z.B. aufgrund unvorhersehbarer gruppendynamischer Entwicklungen nicht verhindern lassen. Das Handbuch wird ergänzt durch die entsprechenden Materialien für den Schul ungsleiter. Diese umfassen Foliensätze zu den einzelnen Modulen. Dem Programm-Handbuch zur Verwendung durch die Schulungsleiter stehen Materialien für die Patienten zur Seite. Diese Patienten-Materialien sind parallel zum Programm-Handbuch aufgebaut und beinhalten die relevanten Lerninhalte in komprimierter Form. Sie ermöglichen dem Patienten ein eigenständiges Nachlesen und Nacharbeiten des Programms im Anschluß an die einzelnen Schulungsveranstaltungen und stehen ihm auch später zum Nachschlagen zur Verfügung.
Der Kurs umfaßt die folgenden 6 Bausteine (Module):
Modul 1: Krankheitsbild, Krankheitsverlauf, Krankheitsursache, Diagnostik
Das Modul strukturiert und behandelt die Nosologie und Symptomatologie der chronischen Polyarthritis, indem Krankheitszeichen und Beschwerden im Erfahrungsaustausch der Teilnehmer erarbeitet werden. Zum Modul gehört die Vermittlung von grundlegendem Wissen über die Anatomie eines Gelenks sowie die pathologischen Vorgänge bei der chronischen Arthritis. Anhand eines Bildes zum schematischen Aufbau des Gelenks werden die typischen Entzündungsprozesse einer Arthritis dargestellt und von der Arthrose abgegrenzt. Einen nächsten Schwerpunkt bildet die Aufarbeitung der Krankheitsursachen und krankheitsbeeinflussenden Faktoren. Hierbei werden Informationen zum Krankheitsverlauf vermittelt, die verdeutlichen sollen, daß die überwiegende Verlaufsform nicht schwerster Art ist, d.h. daß nicht jeder Patient mit einer chronischen Polyarthritis unweigerlich im Rollstuhl endet. Besonders wichtig ist dabei die Aktivierung der Selbstverantwortung, um durch regelmäßige ärztliche Betreuung und den positiven Umgang mit der Krankheit auf den Krankheitsverlauf positiv einzuwirken. Ein weiterer Bestandteil des Kurses widmet sich der Vermittlung von typischen Anzeichen eines Krankheitsschubes, der Abgrenzung zu Befindlichkeitsstörungen und den häufigsten Komplikationen der Krankheit. Zum Abschluß werden die wichtigsten diagnostischen Verfahren, wie Laboruntersuchungen, Röntgenuntersuchungen und Sonographie vorgestellt und die Bedeutung von regelmäßigen Verlaufskontrollen betont.
Modul 2: Medikamentöse und operative Therapie
Der Schwerpunkt in diesem Modul liegt auf der medikamentösen Therapie der chronischen Polyarthritis. Ihre Bedeutung wird im Kontext der anderen Behandlungsformen, wie z.B. Krankengymnastik, Ergotherapie oder psychologischer Hilfen, erläutert. Auch die Möglichkeiten der operativen Therapie werden angesprochen. Ziel ist es dabei, daß der Betroffene die verschiedenen medikamentösen Therapieformen und ihre unterschiedlichen Ziele kennenlernt.
Wichtig dabei ist, daß der Patient erkennt, daß sich die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten ergänzen. Es werden die drei hauptsächlich in der Therapie der chronischen Polyarthritis eingesetzten Medikamentengruppen nicht-steroidale Antiphlogistika, Steroide und die langwirkenden Antirheumatika - besprochen. Anhand eigener Erfahrungen und Befürchtungen der Teilnehmer werden die wichtigsten Informationen zu den verschiedenen Medikamenten erarbeitet. In besonderer Weise wird auf unerwünschte Wirkungen eingegangen, die der Patient selbst erkennen kann. Auch die alternativen Therapieformen werden nicht ausgeklammert, sondern kritisch mit den Teilnehmern diskutiert. Den Abschluß bildet ein Gespräch über den Umgang mit den verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und den damit verbundenen Risiken. Die Betroffenen sollen ermutigt werden, Therapieentscheidungen nicht passiv hinzunehmen, sondern aktiv mitzutragen und mitzugestalten.
Modul 3: Krankengymnastik
Dieses Modul greift Erfahrungen der Teilnehmer bezüglich Funktionsverlust und beeinträchtigung der Beweglichkeit auf und vermittelt grundlegende krankengymnastische Ziele und Routinestrategien bei chronischer Polyarthritis. Ausgehend vom Aufbau und der Funktion des gesunden und kranken Gelenks (zugleich Wiederholung der Gelenkanatomie aus Modul 1) werden die normale Beweglichkeit und Ursachen für Bewegungseinschränkungen dargestellt. Außerdem werden der Sinn und die Durchführung von Beweglichkeitstests besprochen und die frühzeitige Einleitung der krankengymnastischen Therapie propagiert. In diesem Zusammenhang werden die Möglichkeiten und Grenzen der Krankengymnastik aufgezeigt und ihre Bedeutung im therapeutischen Gesamtkonzept erläutert. Ein weiterer großer Themenblock befaßt sich mit grundlegenden Krankengymnastikstrategien zur Muskelkräftigung, zum Ausdauertrainig, zur Vermeidung von Fehlstellungen sowie mit Möglichkeiten der Schmerzlinderung. Dieses Modul ist durch einen hohen Anteil an praktischen Übungen gekennzeichnet, um das theoretische Wissen durch positive eigene Erfahrungen zu festigen. Wesentlich ist auch, durch die praktische Anwendung bzw. die praktische Demonstration die Beziehung zwischen der Theorie und den praktischen Übungen herzustellen, die der Patient von seiner bisherigen krankengymnastischen Übungsbehandlung her kennt. Ziel ist es, die Motivation für ein gezieltes Trainingsprogramm zur eigenverantwortlichen regelmäßigen häuslichen Krankengymnastik zu wecken und die Krankengymnastik-Compliance zu steigern.
Modul 4: Psychologische Schmerzbewältigung
Modul 4 führt in die Grundlagen der psychologischen Schmerzbewältigung ein. Es besteht aus einem theoretischen und einem praktischen Teil. Im theoretischen Teil wird über die Entstehung und Wahrnehmung von Schmerzen gesprochen, der praktische Teil macht mit verschiedenen Techniken zur psychologischen Beeinflussung von Schmerzen bekannt. Theoretisch erläutert wird der Zusammenhang zwischen Schmerzen, beispielsweise in einem Gelenk, und Verspannungen, Streßreaktionen sowie inneren Prozessen wie Gedanken und Gefühlen. Anhand von Erfahrungen der Teilnehmer wird die Wahrnehmung und Beeinflussung von Schmerzen auf eigene Erlebnisse bezogen. Den größten Teil des Moduls nimmt jedoch die praktische Erfahrung verschiedener Methoden der psychologischen Schmerzbewältigung ein. Hierzu zählen Entspannungsübungen, Wahrnehmungslenkung, Vorstellungsübungen und positives Denken. Der Kursteil wird als Einstiegshilfe in die Technik der psychologischen Schmerzbewältigung verstanden. Den Teilnehmern soll bezüglich der Handhabung ihrer Schmerzen ein positives Erlebnis vermittelt werden, das sie motiviert, in entsprechenden längeren Kursen Schmerzbewältigungsstrategien zu erlernen.
Modul 5: Ergotherapie
Dieses Modul befaßt sich vor allem mit Gelenkschutz. Im Austausch mit den Teilnehmern wird der Begriff Gelenkschutz definiert. Dann werden anatomische und funktionelle Aspekte des Gelenks besprochen (erneuter Bezug auf die bereits bekannten Folien) sowie Bewegungsabläufe und Fehlstellungen dargestellt. Anhand konkreter Beispiele werden Gelenkschutzregeln wie z.B. achsengerechte Belastung vermittelt und auf verschiedene Gelenktypen übertragen. Unter Gelenkschutzgesichtspunkten werden auch Alltagshilfen vorgestellt und praktisch erprobt. Daneben wird auf die Bedeutung weiterer Hilfsmittel eingegangen, beispielsweise von Schienen. Wesentliches Ziel des Moduls ist ein präventiver Gedanke. Außerdem werden Einstellungen im Umgang mit der Krankheit diskutiert, welche die Leistungsaspekte Überforderung-Unterforderung beinhalten und zum Ziel haben, das richtige individuelle Gleichgewicht zwischen Ruhe und Aktivität zu finden. Den Teilnehmern soll mit der Anwendung der Gelenkschutzregeln im Alltag eine eigene, aktive Möglichkeit vermittelt werden, Überlastungen der betroffenen Strukturen zu reduzieren oder im günstigsten Fall zu vermeiden, Fehlstellungen hinauszuzögern oder sogar zu verhindern und damit durch eigenverantwortliches Handeln einen positiven Einfluß auf den Krankheitsverlauf zu nehmen.
Modul 6: Alltagsbewältigung - mit der Krankheit leben lernen
Die Themen dieser Seminareinheit befassen sich mit der Krankheitsbewältigung und haben zum Ziel, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, Angst abzubauen und Selbstbewußtsein und Selbständigkeit im Umgang mit der Krankheit zu entwickeln. Da dieses Modul ein hohes Maß an Individualität in der Vorgehensweise erfordert, kann es nicht schematisch abgearbeitet werden. Dieses Modul hat am ehesten den Charakter einer gruppentherapeutischen Sitzung und beeinhaltet gruppenpsychotherapeutische Techniken (Brainstorming, themenzentrierte Interaktion, Rollenspiel). Inhaltlicher Schwerpunkt ist der Prozeß der Krankheitsbewältigung im Alltag. Es werden Auswirkungen der Krankheit beim Betroffenen in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Beruf, Familie, Partnerschaft, Freizeit und sozialen Kontakten besprochen. In dieser Sitzung erhalten die Teilnehmer die Möglichkeit, Erfahrungen bei der Bewältigung des Alltags auszutauschen und Neues in der Auseinandersetzung mit der Krankheit zu lernen und im Alltag zu erproben. Hierei werden konkrete Bereiche der Krankheitsbewältigung wie Einstellungen zur Leistung, Umgang mit Hilfe, Selbstwertgefühl, Umgang mit Ängsten und mit der Behinderung angesprochen und in mindestens einem Bereich durch gruppentherapeutische Techniken (z.B. Rollenspiel) vertieft. In einem abschließenden Teil werden die Gruppenmitglieder auf örtliche und regionale Hilfsmöglichkeiten, wie Arbeitsgemeinschaften der Rheuma-Liga, psychologische Beratungsstellen und ambulante Therapiemöglichkeiten hingewiesen.
Eine Übersicht über Kliniken und Einrichtungen, die die Schulungsprogramme regelmäßig im Rahmen ihres Behandlungsangebotes durchführen, findet sich auf der Unterseite Schulungskliniken